Auszug aus dem Scout Echo 101, von Georg Bieringer
Vorbemerkung:
Dieser Beitrag wurde zwar bereits 2009 geschrieben, aber bewusst nicht im Jahr vor einer
Gemeinderatswahl veröffentlicht. Das Thema ist emotional beladen, und es ist nicht
beabsichtigt, neuerlich eine Diskussion anzuheizen. Vielmehr möchte ich damit versuchen,
die Haltung der Pfadfindergruppe Leobersdorf in dieser Frage für die Eltern unserer Kinder
und Jungendlichen sowie für die Freunde der Gruppe ein wenig zu erläutern.
Die im Jahr 1907 von Robert Baden-Powell begründete Pfadfinderbewegung ist die größte überparteiliche Jugendorganisation der Welt. Die Verbandsordnung der Pfadfinder und Pfadfinderinnen Österreichs (PPÖ), die diese Bewegung in Österreich repräsentieren, stellt klar: "Wir sind unabhängig von jeder politischen Partei." (Teil 1: Grundsätze).
Trotzdem wurden und werden die Pfadfinder immer wieder irgend einem politischen Lager zugeordnet. Es ist jedoch aufschlussreich, dass es – egal von welcher politischen Seite aus betrachtet – in der Regel das "andere" Eck ist, in das die Pfadfinder gestellt werden. Dieses Phänomen ist weder neu noch auf Österreich beschränkt: In den Anfangsjahren des Pfadfindertums warf die britische Linke dem Gründer der Pfadfinderbewegung vor, die Jugend des Landes zu Gunsten konservativer Ideen zu vereinnahmen, während ihn die Konservativen ihrerseits als Sozialisten bezeichneten. Bestrebungen, die Pfadfinderbewegung parteipolitisch zu vereinnahmen, sind glücklicherweise seltener, kommen aber natürlich auch vor. Sie sind allerdings so gut wie immer mit der Kritik an den nicht ins jeweilige Bild passenden Aspekten und dem Aufruf zur "Korrektur" verbunden.
Dass der Versuch, die Pfadfinderbewegung parteipolitisch zuzuordnen, zum Scheitern verurteilt ist, kann niemanden wundern, der mit der Person Baden-Powells vertraut ist: Ein General und Kriegsheld der britischen Kolonialtruppen, der seine Laufbahn aufgibt, zu Frieden und Völkerverständigung aufruft und sich der Jugenderziehung widmet; ein Angehöriger der Oberschicht, der Buben mit unterschiedlichstem sozialem Hintergrund ihre Anführer selbst wählen lässt; ein Mann, der Werte wie Disziplin, Kameradschaft und Pflichtbewusstsein zugleich mit Idealen der Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und individuellen Charakterbildung vermittelt – Baden-Powell war eines mit Sicherheit nicht, nämlich ein engstirniger Ideologe irgend einer bestimmten Partei.
Aufbauend auf den von Baden-Powell vertretenen Grundsätzen wollen die PPÖ "helfen, junge Menschen zu bewussten Staatsbürgern und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu erziehen" (Verbandsordnung, Teil 1: Grundsätze). Die Entscheidung darüber, welche Werte der einzelne für sich annimmt und in der Gesellschaft vertritt, können und wollen die Pfadfinder den ihnen anvertrauten jungen Menschen nicht abnehmen. So sehr daher politisches Bewusstsein und gesellschaftliches Engagement zu begrüßen und zu fördern sind, so falsch ist es nach Ansicht der PPÖ, Kinder und Jugendliche die Welt durch eine parteipolitisch gefärbte Brille sehen zu lassen. Deshalb halten die Vereinsstatuten der PPÖ fest: "Eine parteipolitische Betätigung im Rahmen der PPÖ ist nicht gestattet." (§ 2: Grundsätze des Verbandes).
In der Pfadfindergruppe Leobersdorf ist es seit jeher ungeschriebenes Gesetz, dass Führerinnen und Führer keine parteipolitische Funktion ausüben. Dies ist in der Verbandsordnung zwar nicht wörtlich so verlangt, aber unter dem Titel "Unvereinbarkeiten" heißt es: "Grundsätzlich soll niemand bei den PPÖ eine leitende Funktion übernehmen, der/die durch Beruf oder anderes Engagement die öffentliche Wahrnehmung des Wesens der PPÖ (Verbandsordnung 1.1) in Frage stellen könnte." Wobei zu diesem Wesen, wie schon eingangs zitiert, die Unabhängigkeit von jeder politischen Partei gehört. Hier geht es also nicht darum, irgendwem zu unterstellen, er oder sie würde Kinder oder Jugendliche parteipolitisch beeinflussen wollen. Vielmehr soll bereits die Möglichkeit vermieden werden, dass Personen mit leitender Funktion bei den Pfadfindern als von einer politischen Partei abhängig wahrgenommen werden könnten.
In den letzten Jahren ist die Praxis in unserer Gruppe aus verschiedenen Gründen kritisiert worden, und das zumindest teilweise zu Recht: Ungeschriebene Gesetze haben es so an sich, dass zum einen nicht jeder davon weiß und dass zum anderen nicht alle darunter dasselbe verstehen. Neben Härte gegenüber einzelnen Führern, denen die Problematik eines parteipolitischen Engagements nicht rechtzeitig bewusst war, gab es zugleich eine Lücke für nicht als Führer tätige, aber dennoch durch ihre Funktion in der Öffentlichkeit stehende Pfadfinder. Das betraf einerseits den Aufsichtsrat, insbesondere aber die Gilde, also die nicht mehr in der Jugendarbeit aktiven Pfadfinder und Pfadfinderinnen, und bot breiten Raum dafür, die öffentliche Wahrnehmung des Wesens der PPÖ in unserem Ort in Frage zu stellen. Da die Gilde ein eigener Verein ist, haben die Gremien der Pfadfindergruppe Leobersdorf hier keinen direkten Einfluss. Angesichts der engen personellen Verbindungen ist es aber nicht leicht zu verstehen, warum sich so lange keine zufriedenstellende Lösung hat finden lassen. Dass es nicht sinnvoll ist, den Umgang mit dieser Frage dem persönlichen Feingefühl jedes einzelnen zu überlassen, wurde ja in den letzten Jahren unter Beweis gestellt. Zumindest die eine oder andere öffentliche Klarstellung und damit verbundene Konsequenzen hätte man sich schon erwarten dürfen.
Spät ist besser als nie. In seinem Beschluss vom 2. April 2009 hat der Aufsichtsrat die schon bisher für Führerinnen und Führer informell gültige Regelung formal bestätigt und auf den Aufsichtsratsobmann, den Kassier und den Schriftführer (diese drei vertreten die Pfadfindergruppe Leobersdorf vereinsrechtlich nach außen) sowie ihre Stellvertreter ausgedehnt. Die Gildemeisterin Adele Ploderer trägt diese Regelung mit.
An dieser Stelle schuldet die Pfadfindergruppe Leobersdorf Johann Zöhling jr. Dank dafür, immer wieder auf die jahrelang inkonsequente Haltung in dieser Frage hingewiesen zu haben. Hans war es stets ein Anliegen, dass es klare und faire Regeln für alle gibt, wobei er in dieser Frage zwar anderer Meinung ist als der Aufsichtsrat, aber trotzdem bereit gewesen wäre, eine einheitliche und konsequente Entscheidung zu akzeptieren. Das jahrelange Lavieren hingegen konnte und wollte er verständlicherweise nicht akzeptieren.
Die Tatsache, dass die Pfadfindergruppe Leobersdorf auf eine sehr klare – auch personelle – Trennung von Jugendarbeit und Parteipolitik Wert legt, bedeutet nicht, dass ein parteipolitisches Engagement als etwas Negatives angesehen würde. Die Wahrnehmung eines politischen Mandates kann durchaus ein Weg sein, den Auftrag, den uns Baden- Powell in seinem Abschiedsbrief gegeben hat, in die Tat umzusetzen: "Versucht stets, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als ihr sie vorgefunden habt." In den letzten Jahren waren in Leobersdorf für vier Gemeinderatsfraktionen ehemalige Pfadfinderführer entweder als Mandatare oder unterstützend in der Ortspartei tätig.
Das kann man durchaus als Zeichen dafür ansehen, dass der traditionelle Weg unserer Gruppe nicht so falsch gewesen sein kann: Personen, die sich in unserer Gruppe engagieren, werden dadurch nicht zu unpolitischen, an gesellschaftlicher Mitgestaltung desinteressierten Menschen. Sie sind aber offenbar in der Lage, ihre Wahl selbst zu treffen, und folgen nicht irgend einem vorgegebenen Pfad. Ich hoffe, dass der Aufsichtsrat mit seiner Klarstellung eine Grundlage dafür geschaffen hat, dass unserer Gruppe die Vielfalt, die sich in den politischen Wegen ehemaliger Führer abbildet, auch in Zukunft erhalten bleibt.
Dass die Pfadfindergruppe Leobersdorf aufgrund ihrer Unvereinbarkeitsregelung immer wieder aktive, an Mitgestaltung interessierte junge Menschen an die Politik verliert, ist eine Tatsache. Gerade für jene, die "nichts halb machen" (so hat es einmal im Pfadfindergesetz geheißen), bedeutet jedoch die Frage, ob sie eine parteipolitische Funktion übernehmen wollen, in vielen Fällen ohnehin eine Entscheidung für oder gegen die Pfadfinderarbeit. Aber soll man es überhaupt als Verlust betrachten, wenn sich ein Mensch im Sinne des Zieles der PPÖ weiterentwickelt und mehr Verantwortung in der Gesellschaft übernimmt? Die Pfadfinder "verlieren" in diesem Sinne auch engagierte Menschen an andere Vereine, an den Beruf, an die Familie. Wenn man den eingangs zitierten Grundsatz ernst nimmt, so sollte man wohl nicht von einem Verlust für die Pfadfindergruppe, sondern von einem Gewinn für die Gesellschaft sprechen und anerkennen, dass ein Pfadfinder auch außerhalb der Jugendarbeit seinen Weg gehen kann.